Optimierungschancen für den Kinder- und Jugendleistungssport

(Aus "Sport Journal", Zeitschrift des Landessportverbandes Baden-Württemberg)

Die Diskussion um den Kinder- und Jugendleistungssport wurde und wird auf Kongressen und durch Veröffentlichungen vielfältig geführt. Für mich als praktizierender Sportpsychologe ist auffällig, daß die Thematik nach wie vor in aller Munde ist und eine deutliche Sensibilisierung gegenüber jeder Form der Gewaltanwendung stattgefunden hat. Meines Erachtens werden jedoch die Chancen, die eine solche Diskussion für den AItersbereich  zwischen 9 und 14 Jahren im Leistungssport generell beinhaltet, kaum genutzt. Neben dem Anprangern problematischer Verhaltensweisen und Enwicklungen sowie dem Einfordern moralisch einwandfreien Verhaltens kommen Überlegungen zur Entwicklung optimierter Rahmenbedingungen des Kinder-/Jugendleistungssports deutlich zu kurz.

Von Hans-Dieter Hermann

An dieser Stelle soll kein Anspruch auf Vollständigkeit derartiger Überlegungen erhoben werden. Gleichwohl möchte ich mit Blick auf die Faktoren ,,Vertrauen" und ,,soziale Kompetenz" einige Optimierungschancen im unmittelbaren sportlich-privaten Umfeld jugendlicher Leistungssportler verdeutlichen.

Vertrauensförderung:
Mehr mit als über Kinder reden

Vertrauen entsteht und gedeiht nur auf einer guten kommunikativen Basis. Für den Kinder- und frühen Jugendbereich muß es das grundlegende Ziel sein, prinzipiell mehr mit statt über die Kinder zu reden und sie soweit wie möglich in Entscbeidungsprozesse einzubeziehen. Angesprochen sind dabei sowohl Eltern als auch Trainerinnen und Trainen.

An anderer Stelle habe ich die Eltern-Kind-Beziehung als ,,Schlüssel zu einem vernünftigen Leistungssport" bezeichnet. In meiner Arbeit mit jungen Leistungssportlern, ihren Trainern und Eltern kann ich immer wieder feststellen, daß Vertrauen, Toleranz und Offenheit in der Eltern-Kind-Beziehung die beste Prävention für Fehlentwicklungen jeglicher Art darstellen. Dann stößt beispielsweise überforderndes oder ethisch-moralisch inakzeptables Trainerverbalten unmittelbar auf Widerstand und wird kaum über die Zeit als ,,normal" akzeptiert. Voraussetzung ist jedoch, daß Eltern ihre Rolle im Rahmen des sportlichen Geschehens mit sich selbst und mit ihren Kindern/Jugendlichen klären. Schwer haben es vor allem jene Eltern (und damit auch ihre Kinder), die sich stark engagieren und dabei eine Mischung aus Co-Trainer, Coach, Trainer-Kritiker; Fan, Animateur, Forderer, Förderer, Butler, Psychologe, Manager, Fahrer, Koch, Ernährungsberater; Imageberater, u .v. m. sein wollen oder auch sein sollen. Da diese verschiedenen Rollen durch die familiäre Bindung und durch die räumliche Nähe überlagert sind, kommt es leicht zu Konfliktsituationen, sie sind in diesen Fällen beinahe unausweichlich. Die Tatsache, daß es nur wenige Möglichkeiten gibt, auch einmal Abstand voneinander halten zu können, erschwert wiederum die Konfliktlösung. Dies führt nicht selten zu permanenten Spannungen oder sogar zur Aufgabe des Sporttreibens.

Eitern-Verhalten

Unabhängig davon, wie hoch das persönliche Engagement und wie vielfältig die Aufgaben/Rollen sind:

Wenn irgendmöglich sollten Eltern

- das Zuhause bewußt als Rückzugsraum vom Sport akzeptieren,

- vor allem ihre eigenen Erwartungen kritisch überprüfen,

- Vorwürfe nach sportlichen Niederlagen ihrer Kinder unterlassen,

- keine Rechtfertigungen erzwingen,

- nicht über die Köpfe der Kinder und Jugendlichen mit dem Trainer ,,kungeln",

- unaufdringliche Ansprechpartner sein.

Fraglos müssen hierfür Eltern auch Informationen, Unterstützung und Akzeptanz von Trainer-, Vereins- und Verbandsseite bekommen bzw. erfahren. Meines Wissens liegen von keinem Verband umfassende, konkrete Überlegungen zum Umgang mit den Eltern oder gar Konzeptionen von Zielrichtung solcher Konzeptionen muß sein, die Bedingungen zur Vertrauensförderung und zur gegenseitigen Unterstützung innerhalb des Systems ,,Sportler-Trainer-Eltern-Verein/Verband" zu verbessern. Dies kann aber nur sportartspezifisch unter Berücksichtigung der organisatorischen Bedingungen verfaßt werden. Allerdings sollten Toleranz und Transparenz dabei nicht nur Worthülsen sein.

Trainer mit Fachwissen und Sozialkompetenz

Von den Trainern muß erwartet werden, daß sie neben ihrem fachlichen Wissen auch soziale Kompetenz vermitteln und am eigenen Beispiel demonstrieren. Als wichtigster Bereich sei an dieser Stelle die Kommunikationskompetenz erwähnt. Derzeit führen diese Inhalte in der Traineraus- und -weiterbildung ein Schattendasein. Richtungsweisend sind hierzu die Ausbildungsinhalte an der Trainerakademie Köln: Kommunikation und soziale Kompetenz stellen einen Schwerpunkt dar. Auch der LSV Baden-Württemberg bietet den Landes- und Honorartrainern seit Jahren die Möglichkeit zur praktischen Fortbildung in den Bereichen Rhetorik, Trainerverhalten und Gesprächsführung.

Vertrauen und Kompetenz können auch dadurch gefördert werden, daß entsprechende Inhalte in spezielle Trainer- und Übungsleiter-Ausbildungen für den Kinder- und Jugendbereich eingehen. Theoretisch und praktisch sollten in einer solchen (mittels Prüfung abzuschließender) Trainerausbildung in jedem Fall folgende Inhalte u.a. berücksichtigt werden:

- Physische Entwicklung im Kinder-/Jugendalter

- Entwicklungspsycbologie

- Kinder-Traumatologie

- Ernährung im Kindes- und Jugendalter unter Berücksichtigung sportartspezifischer Anforderungen (siehe hierzu Artikel von Dr J. Jost)

- Motivation im Training und Wettkampf

- Allgemeine Pädagogik

- Didaktik für Lehr-/Lernprozesse im Kindes- und Jugendalter

- Rhetorik.

Sicherheit für alle Seiten durch Ethik-Richtlinien

Entgegen vielen Trainermeinungen scheint mir äußerst hiftreich, in allen Sportarten, bei denen Kinder früh in den Leistungsbereich stoßen, eine explizite und berufbare Trainerethik aufzustellen. Erst eine solche Ethik begründet moralisch einwandfreies Verhalten, denn Moral ist ungeschriebenes Gesetz. Liegt eine solche Ethik nicht vor, wird ,,vor Ort" entschieden, was im Umgang mit Kindern in Ordnung ist und was nicht. Gerade im Kinder- und Jugendsport muß jedoch der moralische Spielraum für Trainer und Betreuer deutliche Grenzen haben. Eine niedergeschriebene, verbindliche Trainerethik hilft allen Beteiligten, sich sicherer auf dem sensiblen Terrain des Kinder-Jugendleistungssports zu bewegen.

Hans-Dieter Hermann ist sportpsychologe am Institutfür Sport undSportwissenschaft der Universität Heidelberg und am olympiastützpunkt Rhein-Neckar

 

 


zurück zur Hauptseite
erneuert am 3.2.2000 von Viktor Lesiuk jr.